Mittwoch, Mai 16, 2007

Gedankenspielereien über das Ergebnis der Bremerhavener Wahl vom 13. Mai 2007

In Deutschland kommt selbst die Kommunalpolitik kaum daran vorbei, jede noch so winzige Detailentscheidung mit ideologischen Grundpositionen zu verknüpfen. Ein gesunder Pragmatismus mit dem Mut zum offenen Blick auf die Realität bleibt auf der Strecke, weil allerorten festgenagelte Prinzipien im Wege stehen. Die Diskussionen nach der jüngsten Bremerhavener Wahl illustrieren dieses Dilemma.

Jahrelang hat die große Koalition hinter den Kulissen diskutiert und dem staunenden Volk nur noch die propagandistischen Trompetentöne über die Beschlüsse zugemutet. Die engagierte öffentliche Suche nach überzeugenden Argumenten in der Sache war überflüssig, weil die Koalitionsarithmetik das entscheidende Kriterium darstellte. So gelangten Leute auf Posten, weil sie einer Partei nahe standen und nicht etwa, weil sie sich durch zukunftsweisendes Denken und Handeln profiliert hatten.

Wie Mehltau legt sich ein solches Muster über alle Facetten der Kommunalpolitik und erstickt die öffentliche Beteiligung. Über eine Schulpolitik, die aus den Erfahrungen anderer lernt, wurde daher nicht offen diskutiert, sondern nur ideologisch herumtaktiert. Das von der CDU so heiß geliebte durchgängige Gymnasium beispielsweise ist nichts als ein Reflex auf die langjährige SPD-Schulpolitik und hat mit neuen Wegen in die Zukunft absolut nichts zu tun. Ideologisch motivierte späte Rache und Nostalgie blockieren aber richtige politische Weichenstellungen, die nach dem Vorbild anderer Länder auf eine zehnjährige gemeinsame Schule für alle Kinder mit optimaler individueller Förderung hinführen müssen.

In der kommunalen Finanzpolitik praktiziert die große Koalition mit Oberbürgermeister Schulz an der Spitze eine Realitätsverleugnung, die immer verantwortungsloser wird. Zyniker würden sagen, dass genau darin ein Grund für die Fortsetzung dieser Koalition läge - damit sich die CDU nicht klammheimlich aus ihrer Verantwortung für das ins Riesenhafte gewachsene finanzielle Desaster verabschieden kann. Allerdings dürfte dadurch auch die Vertuschung noch eine Zeitlang weitergehen, und das könnte die Probleme nur verschärfen.

Genau diese Offenlegung der aufgetürmten finanziellen Lasten und Risiken wird eine zentrale Aufgabe der neuen Mehrheit in der Stadtverordnetenversammlung sein. Sie muss die für Jahrzehnte bestehenden und teilweise noch versteckten Verpflichtungen in Folge der neu geschaffenen und für eine so kleine Stadt übergroßen Infrastruktur sichtbar machen, damit die schrumpfenden Spielräume für die Schul- und Sozialpolitik erkennbar werden.

Unter diesem Gesichtspunkt wäre eine rot-grüne Minderheitskoalition das richtige Rezept, weil die wirkliche Lage der Stadt durch die kritischen Diskussionen ans Licht gebracht würde. Dass in dem entstehenden Durcheinander auch schmutzige Wäsche gewaschen wird, würde die Ehrlichkeit der Bilanz befördern. Dass die SPD an einer solchen Ehrlichkeit Interesse hätte, dürfte allerdings mit Fug und Recht bezweifelt werden.

Das Nachdenken über eine solche Öffnung der Kommunalpolitik zugunsten einer größeren Transparenz und eines ehrlichen Neubeginns hat der berühmte Publizist Karl Kraus auf unnachahmliche Weise formuliert: "'Ordnung muss sein', sagte der Anarchist und warf die Bombe ins Rathaus."

Detlef Kolze

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