Was bedeutet das alles für Bremerhaven? - Der Experte Joachim Jahnke über die aktuelle Situation der Weltwirtschaft...
Der Experte Joachim Jahnke auf seiner Webseite "Infoportal Deutschland und Globalisierung":
"Erst haben sie den Neoliberalismus durch blasierte und dumme Übertreibungen zu Tode geritten. Nun versuchen sie verzweifelt, ihn wiederzubeleben. Jahrelang galt für die Regierenden in Frankreich, Großbritannien und Deutschland die neoliberale Globalisierung als alternativlos. Man lese nur die Erklärungen von Schröder ("Man darf ja nicht darüber hinwegsehen, daß die Globalisierung uns zu bestimmten Maßnahmen zwingt") und Köhler ("Die Welt ist in einem tief greifenden Umbruch. Wer hier den Zug verpaßt, bleibt auf dem Bahnsteig stehen"). Blind haben sie versucht, mit den Rezepten der Wall Street auch Europa zu beglücken. Die Bundesregierung machte sogar die amerikanischen Verbriefungsmethoden, an denen heute die Banken zu ersticken drohen, in Deutschland salonfähig (der damit beschäftigte Abteilungsleiter im Bundesfinanzministerium wurde jetzt auch noch zum Staatssekretär befördert). Doch der Zug, den man nicht verpassen wollte, fuhr direkt in die Katastrophe.
Im Ergebnis rutschte die Kaufkraft immer mehr in die Hände derer, die eigentlich schon fast alles an langlebigen Wirtschaftsgütern haben und auch die kurzlebigen nur einmal konsumieren können. Bei dieser Umverteilung nach Oben half der negative Lohndruck aus China u. Co., den die Neoliberalen über eine bedingungslos neoliberale Globalisierung ohne Sozialklauseln erzeugt hatten, entscheidend mit. Die Masse der Arbeitnehmer und erst recht der Arbeitslosen und Sozialrentner mußte sich in Deutschland in einer real negativen Einkommensentwicklung einrichten, zumal auch noch zwischen den Arbeitnehmern die Einkommensschere aufging (Abb. 14523).
Großzügig konnten die so in Deutschland und anderswo neoliberal Benachteiligten von den Besserverdienern durch Vermittlung der Banken Kaufkraft auf Kredit und gegen Zinszahlung ausleihen, vor allem in den angelsächsischen Ländern mit einer hohen Schuldentradition (siehe USA, Abb. 03469). Aber auch in Deutschland mußten sich die Ärmeren immer mehr verschulden. Als Spitze dieses deutschen Eisbergs stieg die Zahl der privaten Verbraucher im hochnotpeinlichen gerichtlichen Insolvenzverfahren: Seit 2005 bis Juli 2008 mit 325.000 die Bevölkerung dreier Großstädte und mehr. Zu allem Überfluß wurde der Kredit teilweise selbst gleich mehrfach mit Kredit finanziert, um noch mehr Profit aus den miesen international gehandelten Anlagepapieren von Hypotheken, Autokäufen, Kreditkarten, Studienfinanzierung usw. herauszuschlagen.
Nun ist diese gigantische Kreditblase geplatzt und kein Weg führt dahin zurück. Dennoch glauben die deutsche Bundeskanzlerin und ihr Finanzminister, mit ein paar kleineren Korrekturen, wie mehr Bankenaufsicht, das alte neoliberale System wiederbeleben zu können. Doch was sie und ihre Vorgänger mit der leichtfertigen neoliberalen Politik an ungerechter Einkommensverteilung erreicht haben, kann man nicht so leicht zurückdrehen. Die Kaufkraft fehlt jetzt bei denen, deren steigender Verbrauch uns vor einer Weltwirtschaftskrise noch bewahren könnte, und ein großer Teil der Verbraucher ist ohnehin schon in Schockstarre verfallen. Der Kreditmechanismus, der bisher die Wirtschaft mit zusätzlichen globalen Kaufkrafttransfusionen auf Pump versorgt hat, ist gestorben. Diese Leiche läßt sich nur noch fleddern. Eine statt dessen staatlich organisierte Rückverteilung der Kaufkraft scheitert bisher an den eingefahrenen Denkweisen der immer noch neoliberalen Regierungen, denn das röche zu sehr nach Sozialismus.
Wir alle müssen nun die Folgen einer sich zuspitzenden Weltwirtschaftskrise ertragen. Einstweilen brechen schon mal die Aktienmärkte immer weiter ein. Der Absturz ähnelt dem von der letzten Weltwirtschaftskrise (Abb. 03799). Ackermanns einst stolze Deutsche Bank ist an der Börse nur noch ein Fünftel wert (Abb. 03801).
Nach einer Studie der Ökonomen der Deutschen Bank wird das Wirtschaftswachstum der Industrieländer im kommenden Jahr auf den niedrigsten negativen Stand seit der Weltwirtschaftskrise der dreißiger Jahre fallen. Für die führenden sieben Industriestaaten (G7) rechnet das Institut mit einem Minus der Wirtschaftsleistung um 1,1 Prozent 2009 nach einem Wachstum von 0,8 Prozent 2008. Der Index für die Wirtschaftsleistung des privaten Sektors in Europa fiel im Oktober auf den tiefsten Stand seit Beginn der Messungen vor 10 Jahren (Abb. 03800).
Hoffentlich hält bei dieser Weltwirtschaftskrise - anders als bei der letzten - die Demokratie in Deutschland durch."
Und die Fragen: Was bedeutet das alles für die wirtschaftliche Profilierung Bremerhavens? Wurde auf die richtigen Pferde gesetzt? Gibt es noch andere Pferde, die ein Umsteuern erleichtern? Wo ist anzusetzen?
Die Beobachtung: Solche Fragen werden kaum ernsthaft gestellt. So fiel beispielsweise dem IHK-Präsidenten Claus Brüggemann zunächst einmal ein, vor "überzogener Panikmache" zu warnen. Dann müsse man eine "intensive Ethik-Diskussion" führen, meinte er, weil ein "Weiter so!" sicherlich völlig unangebracht wäre.
Bremerhaven werde zweifellos durch die Krise zu leiden haben, gestand Brüggemann zu. Aber deshalb müssten die Rahmenbedingungen für die Unternehmen weiter verbessert werden (es dürfe nichts geben, was sie "behindern oder gar ausbremsen" könne!).
Und der ganze Prozess des Nachdenkens darf seiner Meinung nach "auf keinen Fall dazu führen, dass über der Wirtschaft eine neue Welle der Über-Regulierung und Bürokratisierung hereinbricht", so der Bremerhavener IHK-Präsident. Schließlich hat sich die Marktwirtschaft in seiner Sicht als "grundsätzlich erfolgreicher Ordnungsrahmen" erwiesen.
Labels: Bremerhaven, globale Wirtschaft, Joachim Jahnke
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