Die "Spiegel"-Kritik an der Bremerhavener Strukturpolitik sollte trotz der offensichtlichen Fehler und Schwächen ernst genommen werden
Als die "Süddeutsche Zeitung" zum Jahreswechsel 2006 / 2007 Bremerhaven sehr einseitig und optimistisch unter der Überschrift "Aufstieg einer Windigen" als Erfolgsmodell darstellte, war die Kommunalpolitik begeistert und zitierte den Text allerorten. Als der "Spiegel" in seiner Ausgabe 2/2008 einseitig und pessimistisch unter der Überschrift "Dubai an der Nordsee" von einem "gewagten Rettungsplan im Armenhaus des Westens" sprach, wurde empört gemäkelt, leider ohne den Kern der Kritik auch nur zu erwähnen.
Selbstverständlich bietet der "Spiegel"-Text eine Reihe von Angriffspunkten, weil er die Negativpunkte teilweise drastisch überzeichnet.
Allerdings ist die Charakterisierung als "Armenhaus des Westens" nicht so einfach von der Hand zu weisen, weil hohe Arbeitslosigkeit, soziale Not und die größte Kinderarmut der Republik dafür Argumente liefern. Im Kern zielt die "Spiegel"-Kritik aber auf einen Punkt, der in Bremerhaven in der Vergangenheit mit allzu leichter Hand beiseite geschoben wurde - die von der großen Koalition unter Federführung des Oberbürgermeisters betriebene Strukturpolitik.
Der "Spiegel" sieht darin einen "verwegenen Plan" und spricht von der "riskanten Investition" einer bettelarmen Stadt in eine aufgeblähte Infrastruktur, die Millionen von Touristen anlocken soll. Angesichts der fast eine Milliarde Euro Schulden sei dies "ein gefährliches Experiment, eine fragwürdige Therapie voller Risiken und Nebenwirkungen", heißt es im "Spiegel".
Direkt angehängt werden die auch in Bremerhaven immer wieder diskutierten Fragen: "Kann der Aufschwung um jeden Preis gelingen, wenn zugleich Geld für soziale Projekte fehlt? Bleibt Bremerhaven trotz neuer Fassaden und Gebäude womöglich so tot wie viele Städte im Osten Deutschlands, die in den neunziger Jahren saniert wurden?" Garniert ist dies mit der genüsslichen Aufstellung der mit vielen hundert Millionen Euro an öffentlichen Mitteln finanzierten Bauaktivitäten in der Bremerhavener City.
"Die Stadt baut eine gewaltige Kulisse auf, hinter der die Armen bloß versteckt werden sollen", wird Wolf Hast, der Vorsitzende des Bremerhavener Topfes, im "Spiegel" zitiert. Und Eberhard Muras, der Chef des Diakonischen Werks, kommt mit der Bemerkung zu Wort: "Wie das neue Hotel wächst, so wächst auch die Kinderarmut in der Stadt." Oberbürgermeister Jörg Schulz sagte dem "Spiegel" gegenüber, er kämpfe "weit vor der Front" und muss sich dafür sagen lassen: "Eine freundliche Umschreibung dafür, dass der Stadt-Therapeut umstritten ist - seine Radikalkur geht manchem zu weit."
Und an einer anderen Stelle wird Schulz vom "Spiegel" mit der Bemerkung zitiert, es sei eine "Ressourcenverschwendung, in die alten Stadtteile Geld zu stecken - das könne sich Bremerhaven nicht mehr leisten". Auch diese Zuspitzung illustriert die kritische Position der Wochenzeitschrift: Es reicht nicht, auf glitzernde Fassaden und steigende Umsätze zu hoffen, wenn zu wenig Menschen etwas davon haben. Ähnliches gilt laut "Spiegel" auch für den boomenden Überseehafen: "Die Globalisierung treibt den Hafen seit Jahren an, sorgt ständig für Rekorde. Qualifizierte Jobs springen freilich kaum dabei heraus."
Klar: Was der "Spiegel" in seinem jüngsten Bremerhaven-Bericht zustande gebracht hat, ist kein Muster von Ausgewogenheit. Das war aber der Bericht der Süddeutschen Zeitung über den Aufstieg Bremerhavens durch die Windenergie auch nicht. Trotzdem wurde der eine Text lebhaft beklatscht, während die Aussagen des anderen nicht einmal zur Kenntnis genommen werden.
Solche Tricksereien legen den Verdacht nahe, dass Lobhudeleien liebend gerne entgegengenommen werden, während man vor Hinweisen auf Gefahrenpunkte die Augen verschließen möchte.
Aber bekanntlich hilft das Verschließen der Augen nicht einmal Kindern, wenn sie in Nöte geraten sind - geschweige denn Politikern.
Labels: Bremerhaven, Der Spiegel, Strukturpolitik
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