Freitag, August 08, 2008

Der Bremerhavener Jürgen Milchert über "christliche Gärten"

Das einfallsreiche gedankliche Umkreise interessanter Fragestellungen und das Öffnen neuer Blickrichtungen ist eine Spezialität des Gartenkultur-Professors Jürgen Milchert, dem einstigen Leiter des Bremerhavener Gartenbauamts. Vor einigen Monaten machte er sich in der Galerie 149 auf die Suche nach dem heutigen christlichen Garten.

Unterschiedliche Gartenkonzepte anderer Kulturen sind bereits im Rahmen der "Gärten der Welt" im Berliner Stadtteil Marzahn zu besichtigen, unter anderem der chinesische, japanische, balinesische und orientalische Garten - höchst spannende Einrichtungen und mittlerweile auch wahre Besuchermagnete, wie Milchert bestätigt. Für ihn selbst zeigt sich dort, dass Gärten "eine starke Traditionslinie der Friedfertigkeit" besitzen und über die kulturellen Grenzen hinweg für Verbindungen sorgen, obwohl jede Kultur ihr besonderes Gartenideal verfolgt.

Ausgangspunkt für Milcherts Gedanken über kulturelle und religiöse Gartenmodelle ist die Feststellung, dass die Menschheit ihre Wurzeln in der Savannen- oder Wüstenlandschaft hat und dass ein eingehegter (Garten-)Raum Schutz und Erquickung bedeutete. Ein Garten sei immer ein "bewußter menschlicher Zivilisationsakt gegen eine übermächtige Wildnis der Natur und ihre Unübersichtlichkeit", erläutert Milchert.

Auch die religiösen Weltbilder seien stets mit Paradiesvorstellungen aus diesem Erfahrungsbereich verknüpft worden. "Gärten sind Erinnerungsbilder sowohl an das verlorene Paradies als auch an die jenseitige Zukunft", formuliert Milchert. Alle großen monotheistischen Religionen hätten ähnliche Bilder entwickelt. "Judentum, Christentum und Islam sind religiöse Systeme, die aus der Wüste kamen", meint der Gartenexperte, also aus einem "Landschaftstopos, der grenzenlos ist".

Für die christliche Religion spielt laut Milchert nicht nur das Paradies oder der schöne Garten Eden eine zentrale Rolle, sondern auch Gethsemane als der Leidensgarten Christi in einem Tal zwischen Jerusalem und dem Ölberg. In einem solchen Spannungsfeld zwischen Gethsemane und Eden sei der christliche Garten angesiedelt. "Aber er ist mehr als ein Garten aus Dur- und Mollelementen", sagt Milchert. "Er ist ein Gartenraum zur Überwindung dieses Widerspruchs."

Und dann springt Milchert gedanklich durch die christlichen Gartenwelten und beleuchtet die Besonderheiten - vom Klostergarten zur Einheit von Kreuzgang und Kreuzgarten mit seinen Licht- und Schattenräumen, durch die geheimen Gärten der Renaissance und die Vatikanischen Gärten. Hinzu kommen Bibelpflanzengärten, Bildstöcke und Kalvarienberge als Markierungen der Pilgerwege und Wallfahrten in "sakralen Landschaften". Aber auch die in moderner Zeit an den Straßenrändern entstehenden Kreuze nach Unfällen rückt Milchert in seinen Gedankenkosmos hinein, ebenso wie die großen weltlichen Gartenanlagen und Parks, die er als "kollektive grüne Toleranzedikte" charakterisiert.

In immer neuen Schleifen umkreist Milchert die Frage nach einem christlichen Garten. Er müsse wichtige Elemente der geschichtlichen Entwicklung aufnehmen und gleichzeitig über die Gegenwart hinausweisen, meint er - mit den sich auflösenden Horizonten, den Spiralen und Verschleierungen, die zu einer Veränderung der Räume führe - "wie in einem Raumschiff, aber noch nicht schwerelos".

Wie dieser christliche Garten "im Reigen der Weltgärten" am Ende tatsächlich aussieht, ist laut Milchert zur Zeit noch ein offener Prozess. "Er ist noch ein Kopf- und Herzensgarten, der noch nach realen Räumen sucht", sagt er. Für Berlin-Marzahn lägen mehrere Vorschläge bereits auf dem Tisch, so dass dort irgendwann ein solcher Garten besichtigt werden kann, zusätzlich zu den bereits vorhandenen Gärten der Welt.

Weitere Informationen über die "Gärten der Welt" im Berliner Stadtteil Marzahn gibt es im Internet unter "www.gruen-berlin.de".

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