Samstag, November 09, 2013

Wer von “strukturellen Reformen” redet, will im Kern die Demontage des Sozialstaats – Der Ökonom Paul Krugman spricht Klartext…

Seestadtpresse Bremerhaven - Der Begriff "Reform" ist in seiner aktuellen Verwendung der Dreh- und Angelpunkt für die praktische Umsetzung der Ideologie des Neoliberalismus.

Im Kern geht es dabei stets um das möglichst weit gehende Plattmachen des Sozialstaats. Der Begriff "Austeritätspolitik" kennzeichnet das Geschehen daher besser als die neoliberale Reform-Faselei. Wer will, kann ein paar Überlegungen dazu >>>an dieser Stelle nachlesen.

In einer kurzen Glosse  zur Herabstufung Frankreichs durch eine große US-Ratingagentur schlägt der Ökonom Paul Krugman in seinem >>>Blog für die New York Times in dieselbe Kerbe. Er fragt, welche besseren Informationen über Frankreich denn die Ratingagentur im Vergleich zum Internationalen Währungsfonds (IWF) habe. Seine Antwort: Keine. Und der IWF beschreibe Frankreichs Lage sehr viel positiver.

Worum es im Falle der Kritik an Frankreich tatsächlich geht, ist laut Krugman die Tatsache, dass Frankreich Steuern erhöhen will statt das soziale Netz weiter zu zerschlagen ("because the French...are raising taxes rather than slashing the safety net").
Und dann formuliert Krugman die Quintessenz: So wenig es bei der Austeritätspolitik wirklich um Haushaltsverantwortung geht, so wenig geht es bei strukturellen Reformen wirklich um Wachstum; in beiden Fällen geht es um die Demontage des Sozialstaats. ("So just as the austerity drive isn’t really about fiscal responsibility, the push for “structural reform” isn’t really about growth; in both cases, it’s mainly about dismantling the welfare state.")
Und Krugman macht noch eine interessante Anmerkung: Eine dermaßen einseitige Sichtweise auf politische Probleme muss nicht einmal mit Böswilligkeit oder Dummheit zusammenhängen. Es reicht völlig aus, wenn man sich gedanklich in denselben konventionellen Kreisen bewegt.

Dann verwandeln sich Dinge, die niemand weiß, in einen Teil dessen, was doch jedermann weiß ("when you move in those circles, things that in fact nobody knows become part of what everyone knows").

Das zielt wohl auch auf Konsumenten von Zeitungen und Zeitschriften, in denen der neoliberale Mainstream den Leitstern der Berichterstattung darstellt.
Am Ende bewegen sich diese Leserinnen und Leser mit großer Sicherheit in einem Gedankenfeld aus lauter Elementen, die doch jedermann weiß, auch wenn davon absolut nicht die Rede sein kann...

Wer diese ärgerlichen Blindstellen in unseren Medien nicht glauben will, der möge ein wenig blättern, z.B. in der Kreiszeitung vom 9. November 2013:
R0027321 

Differenzierung? Erhellung politischer Hintergründe? Aufklärende Relativierung? Alles Fehlanzeige!

Paul Krugman hat übrigens in seinem Blog für die New York Times am 9. November 2013 seine Einschätzung noch einmal bestätigt: “So I stand by my assessment: S&P wasn’t really assessing French default risk, it was slapping the French on the wrist for not being sufficiently committed to dismantling the welfare state.”

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Dienstag, Oktober 09, 2007

Endlich mal ein klares Wort über das dämliche Steuerspar-Gequassel

Vom weit verbreiteten Ärger über das Steuerzahlen sind viele unserer Gazetten voll und quasseln sich darüber die Seele aus dem Hals.

Vom peinlichen Stolz mancher Zeitgenossen, die sich das Steuerzahlen weggetrickst haben, soll hier gar nicht geredet werden - Wirtschaftsförderung durch den Staat betrachten sie als eine Pflicht ersten Ranges, aber finanziell beteiligen wollen sich die Nutznießer daran selbstverständlich nicht, das ist Sache der kleinen Steuerzahler.

Im sonntäglichen Tagesspiegel vom 30. September 2007 nahm Harald Martenstein diese verdrehte Ansicht auf und kommentierte sie auf erhellende Weise. In einem Land wie den USA mit niedrigen staatlichen Ausgaben fällt nach seinen Beobachtungen beispielsweise der Kontrast auf "zwischen den Zonen privaten Reichtums, den Villenvierteln, und dem verlotterten Teil der Stadt, den der Staat allen zur Verfügung stellt".

Das bedeutet, dass sich die Wohlhabenden in ihre bewachten Wohnviertel zurückziehen müssen, um so etwas wie Sicherheit zu haben. In anderen Quartieren bewegen sie sich oft "wie ein Besatzer im Feindesland", immer auf der Hut vor bösen Menschen.

In Deutschland ist das vielfach noch anders - eine Tatsache, die etwa Jodie Foster bei einem Berlin-Besuch sehr genoss. Sie konnte einfach so herumlaufen und "sich in eine Kneipe setzen wie ein normaler Mensch". Martensteins Kommentar: "Diese Tatsache hängt auch mit dem deutschen Sozialsystem und den deutschen Steuern zusammen."

Sehr erfreulich, wenn einfach einmal jemand festhält, dass das hiesige Sozial- und Steuersystem "auch den Wohlhabenden einiges an Lebensqualität bringt" - was sie eigentlich veranlassen müsste, freudig Steuern zu zahlen (und vielleicht sogar etwas mehr als üblich).

Dies setzte allerdings voraus, dass Wohlhabende etwas mehr Weitblick und Klugheit hätten als sie tatsächlich besitzen. Haben sie aber nicht.

So ist das eben: Reichtum und Klugheit stehen sich oft ziemlich feindlich gegenüber.

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