Seestadtpresse Bremerhaven - Gelegentliche Rückblicke können ganz interessant sein, zum Beispiel beim Aufräumen alter Zeitungsartikel.
Ich nehme als Beispiel mein mehr oder weniger zufällig zusammen gesammeltes
Stapelchen mit Texten zur Lage der Wirtschaft aus dem Jahre 2006.
Unaufgeregtheit der Diskussionen rund zwei Jahre vor dem endgültigen Ausbruch der größten globalen Wirtschaftskrise seit dem Zweiten Weltkrieg ist der erste Eindruck.
Und es gibt eine Reihe von
Beobachtungen aus den weniger beachteten Randbereichen der Diskussion,
die damals ebenso richtig waren wie sie es heute sind. Einige Beispiele:
- Thematisiert werden auch schon im Jahre 2006 die
dramatisch angestiegenen Profite, während gleichzeitig Stellenabbau betrieben wird. Außerdem zahlen die Konzerne deutlich weniger Steuern, als stets behauptet wird. Bei der Lohnentwicklung sind die
deutschen Arbeitnehmer weit abgehängt worden, nicht nur gegenüber den reichen Eliten im eigenen Land, sondern auch gegenüber den europäischen Kolleginnen und Kollegen.
- Parallel dazu läuft selbstverständlich die
alte Leier von Forderungen der Unternehmer-Lobby weiter, zum Beispiel dass die (!) Deutschen über ihre Verhältnisse lebten, dass alles schlanker werden müsse, dass der Sozialstaat die Wachstumskräfte fessele, dass mit der Überregulierung Schluss sein müsse und so weiter und so weiter. Wir kennen das bis heute.
- Auch die "Heuschrecken"-Diskussion, die u.a. von Franz Müntefering im Jahr zuvor (2005) befeuert worden war, taucht wieder auf; es wird vor der Jagd nach dem schnellen Profit als wirtschaftlicher Haupttriebfeder gewarnt und Kritik an der
Finanzialisierung der globalen Wirtschaft geübt, also an der
wachsenden Macht der Finanzmärkte.
Der Spiegel beschäftigt sich in einer Titelgeschichte am 18. Dezember 2006 mit der
"Gier des großen Geldes". Die immer rasanteren und kürzeren Zyklen des in Riesenmengen über den Globus rasenden Geldes werden angesprochen, und ganz am Ende des Textes steht auch schon mal der Begriff der
"Liquiditätsblase".
Und dann noch dieser Satz:
"Schon jetzt wird ein schwunghafter Handel mit Schulden betrieben, die wie heiße Maronen immer weitergereicht werden."
- Einen Text habe ich in meiner Sammlung gefunden, in dem ausdrücklich vor einer "weltweiten Rezession" gewarnt wird, vom Ökonomen
Stephen Roach in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung (FAS) vom 17. Dezember 2006 (am anderen Ort bewahre ich noch Texte von Paul Krugman auf, der in der New York Times ebenfalls sehr früh darüber geschrieben hat).
Roach spricht warnend von der
"Abkühlung auf dem amerikanischen Immobilienmarkt" und stellt fest:
"Im Moment platzt da gerade eine Blase." Aber der Experte macht auch Mut:
"Es muss nicht in einer schrecklichen globalen Rezession enden", meint er.
In einem Zusatz erläutert die FAS, dass es sich bei Roach gleichwohl um "den großen Pessimisten" handle. Er sei "vor allem
durch seine pessimistischen Vorhersagen" bekannt geworden.
"Auch aktuell beurteilt er die wirtschaftliche Entwicklung wieder negativer als viele Kollegen", stellte die FAS im Dezember 2006 fest und fragte immerhin vorsichtig: "Ob er recht behält?"
Mir fällt im Rückblick auf: Besonders viel vorausschauende Klugheit ist in keinem der von mir aufbewahrten Zeitungsartikel dieser Experten zu finden.
Labels: globale Wirtschaft, Rückblick